Seide changierend

Maria Porten
Seide changierend, 2013/2015


Fassung für Sopran, Fl, Kl, Elektronik (2013/15)
Fassung für 2 Stimmen (ST), Fl, Kl, Elektronik (2015)
Text: Kaspar Schnetzler



Uraufführung

Fassung für Sopran, Fl, Kl, Elektronik (2013/15)
oJ, Tschechien

ISHA Trio
Lucie Rosnyo (S)
Kristina Vaculova (Fl)
Sara Medkova (Kl)


Fassung für 2 Stimmen (ST), Fl, Kl, Elektronik (2015)
7.4.2015, Wädenswil, Kirchgemeindehaus Rosenmatt

ISHA Trio
Lucie Rosnyo (S)
Kristina Vaculova (Fl)
Sara Medkova (Kl)


UMS ´n JIP
Javier Hagen (T)
Ulrike Mayer-Spohn (Elektronik)




Dauer
10m





Werkkommentar

Für seinen Text Seide changierend geht Kaspar Schnetzler in dei Zeit der grossen Seidenspinnereien in Zürich zurück. Aber es ist kein "Reenactment", kein "möglichst detailgetreues Nachspielen erloschener Episoden", und schon gar kein "Histotainment". Kaspar Schnetzler lässt uns die Arbeit des Spinnens erleben und zeigt, wie der "Lebenswebstuhl" funktioniert. Das Gedicht beginnt mit dem Menschen, der allein kommt und allein geht - auch allein lebt? - also mit existentiellen Fragestellungen. In der musikalischen Realisierung sind es eine Pianistin, eine Flötistin und eine Sängerin, die zunächst einzeln, dann zu dritt allein sind. Aber schon mit dem ersten Refrain ändert sich etwas. Das Einflechten der Mundart und die direkte Anrede machen liebevoll und weich: "Spinn Sydefädeli, Bäbeli, Spinn fini Fädeli." Aber wo ist der Partner für die Paarweise? Seine Stimme wird in vier Refrains vom Tonband eingespielt. In verschiedenen Varianten animiert die männliche Tonbandstimme die live dargestellte Spinnerin und ihre instrumentalen Begleiterinnen zum "Sydewäbe" und nimmt Anteil am Fortschritt ihrer Arbeit. Auch reale Maschinentöne kommen vom Tonband. Schon bald ist von Kette, Schuss und Schiffchen die Rede. Der Webstuhl steht da; aber ein Webstuhl, der nicht laufen will, der in Bewegung gebracht werden sollte wie der einsame Mensch. Dazu muss man das Zauberwort kennen: Schuss, schiess los! Es gibt Aktion: die Kette bewegt sich, wird vom Schuss gekreuzt, das Schiffchen läuft. Bald ist alles so in Aktion, dass man die einzelnen Elemente gar nicht mehr wahrnimmt. Eins scheint sich im andern zu verlieren; aber alles läuft nach strengen Regeln ab. (Die Musik wählt dafür an dieser Stelle die Dodekaphonie.) In der kunstvoll gebauten Maschine geschieht ein Sich-miteinander-Verweben. Dadurch entsteht wie ein Wunderwerk die changierende Seide, das Traumgewebe, das Gewand "aus deiner Hand, Bäbeli du, Bäbeli ich, glich." Ein so beglückender persönlicher Bezug ist in der Massenfabrikation gewinnorientierter Fabriken nicht mehr möglich. Die Arbeiter und Arbeiterinnen arbeiten bis zur totalen Erschöpfung: Niemand weiss, was entsteht. Anonyme stellen am Fliessband Teile her. Nur wenige Rufer in der Wüste versuchen den Fluch zu durchbrechen.

(M. Porten)




Partitur
ZU ERGÄNZEN






 




Umschlagbild des Programmhefts der Uraufführung



Maria Porten bei den Proben mit dem ISHA Trio