Frauen-Zauber-Frauen

Maria Porten
Frauen-Zauber-Frauen, 2009


für Sopran, Tenor/Altus, Querflöte/Blockflöte/Alt, Harfe, Cello (2009)
Text: Walter Studer

1. Riverenza (2m)
2. Göttin (4m30)
3. Drei-Frauen-Zauber (3m)
4. Ringelsocke (3m)
5. Kuchengenesis (4m30)
6. Brot des Lebens (5m)
7. Tänzer (7m)
8. Aion I (6m30)
9. Aion II (2m30)




Uraufführung

7. 3. 2010, Brig-Glis, Zeughaus Kultur

Mitwirkende:
Eva Nievergelt, Sopran
Javier Hagen, Tenor/Altus
Isabelle Gichtbrock, Querflöte/Blockflöte/Alt
Isabelle Steinbrüchel, Harfe
Moritz Müllenbach, Violoncello
Paul Wegman Taylor, Leitung

Weitere wichtige Aufführungen:
11. 3. 2010, Zürich, Tonhalle, Kleiner Saal, Rezital
16. 12. 2010, St. Gallen, Tonhalle, contrapunkt new art music
17. 12. 2010, Winterthur, Theater am Gleis, musica aperta




Gesamtdauer
40m






CD-Einspielung

Maria Porten - Frauen-Zauber-Frauen
MDS Production

Mitwirkende:
Eva Nievergelt, Sopran
Javier Hagen, Tenor/Altus
Isabelle Gichtbrock, Querflöte/Blockflöte/Alt
Isabelle Steinbrüchel, Harfe
Moritz Müllenbach, Violoncello
Paul Wegman Taylor, Leitung






Werkkommentar

Riverenza. Wie bei Shakespeare dem Publikum die Ehre geben! Die Flötistin steht plötzlich allein mitten auf der Bühne, spielt mit wenigen Takten Musik Motive an, die im folgenden Programm thematisiert werden und spricht schliesslich einen aus dem Irgendwo kommenden Text - die letzte Strophe des Gedichts "Zeichen für Miriam" von Walter Studer.

Göttin. Anders als in der offiziellen christlich-jüdischen Schöpfungsgeschichte sind hier Göttinen am Werk und sie - nicht die religionsgeschichtlich viel jüngeren männlichen Gottheiten - sind die Mittlerinnen des Heils. Dem kurz-prägnanten, beschwörenden Text entsprechend, beschränkt sich die Musik auf wenige musikalische Gesten.

Drei-Frauen-Zauber. Kulte von den drei heiligen, hexenhaft-hilfreichen, oft verführerischen Zauberfrauen kannte die antike und vorantike, aber auch die christliche Welt. Sie haben gewichtige Spuren hinterlassen, die hier in einer Art lyrischem Zauberspruch manifest werden. Um das Element der Dreiheit in "Drei-Frauen-Zauber" zu unterstreichen, singt die Flötistin in diesem Stück die Altstimme. Tragendes Element sind drei Klänge in Variation. Sie beruhen auf dem Haussegen C+M+B+: Christus Mansionem Benedicat, der wahrscheinlich auf einen Drei-Frauen-Zauber zurückgeht.

Ringelsocke. Eine heisse Ferienliebe auf den berühmten ersten Blick taucht aus der Erinnerung und einem musikalisch impressionistischem Wirrwarr empor. Dem leisen Schmunzeln folgt die jäh wieder belebte tiefe Sehnsucht.

Kuchengenesis. Die Welt wurde in sechs Tagen (plus einem Ruhetag) erschaffen. Das vorliegende Gedicht weiss es besser: Am 8. Tag schuf Gott die Liebe und am 9. Tag, auf den Vorschlag eines Kindes, den Kuchen - und das Lachen gleich mit. Das märchenhafte Stück kommt einfach und leichtfüssig daher, so, wie man einem Kind vom lieben Gott erzählt. Dieser Charakter wird musikalisch durchgängig aufrecht erhalten.

Brot des Lebens. Das Stück schildert die zunehmende Enttäuschung Gottes über sein wohl wissendes, aber im Verhlaten unbelehrbares Geschöpf: Erwägt Gott zunächst noch ein weiteres Opfer, bereut er mit der Zeit, als er "älter" wird, die Offenbarung, verachtet den Menschen und vergisst ihn schliesslich. Damit ist dem Menschen die Gnade entzogen und er geht dem sichern Untergang entgegen. Der im Text nur als Objekt genannte Mensch tritt musikalisch schmerzhaft direkt in Erscheinung. Die Musik schafft zewei deutlich unterschiedene, aber ineinander überführende Ebenene: Die ferne Ebene Gottes, dargestellt vom Tenor in der Altuslage, begleitet vom Cello und unterstützt von der Harfe; und die laute, schnelle, chaotisch-haltlose Ebene des Menschen. Meist braucht es ein "Machtwort" der Harfe, um den Lärm abzustellen.

Tänzer. In diesem Gedicht offenbart sich der Tänzer als Tod - oder der Tod als Tänzer. (Der Tod ist hier weiblich wie in den romanischen Sprachen.) Das streng eingehaltene hexametrische Versmass ist rhythmisch beschwingt, endet aber abrupt und unbefriedigend. In diese Karussell aus Singen und Sprechen, in dem wechselweise geckig - spöttisch - ironisch - freundlich - augenzwinkernde Tänzer nur vordergründig das Heft in der Hand hält, kommt kein Pathos auf. Die vier Strophen enden jeweils in einem tröstlichen (oder höhnischen?) Refrain, der den Hexameter verlässt. Wo bleibt der Mensch? Die irritierte, panische Cellostimme gibt ihm als dem benötigten Tanzpartner Ausdruck. Mit dem Hinzutreten der Harfe in der 3. Strophe schieben sich bekannte Bilder vom Tod ein wie das stark verfremdete alte Volkslied "Es ist ein Schnitter, heisst der Tod". Sie werden aber als "blind" dargestellt.

Aion I und II. Verschwindet der Mensch in der Unermesslichkeit eines erinnerungs- und bedeutungslosen Nichts? Nein! Aion I symbolisiert eine Überwirklichkeit - das ist die Zuversicht des Mystikers - in der alles Sein und Tun unvergessene Wirkung ist. Die fragile Musik von Aion I macht uns in acht Mal sieben langsamen 7/4-Takten das fast unmerkliche Vergehen der Zeit erfahrbar, aber auch die Kondensation von Erlebtem, wie sie, nach alttestamentarischer Vorstellung, auf der Rückseite des Vorhangs im Tempel zu lesen ist. Aion II ist das musikalische Gewahrwerden des Vergangenen - die Ringelsocke taucht ebenso auf wie der Tod - und verspricht in einem kraftvollen Abschluss des ganzen Zyklus einen neuen Anfang.

(M. Porten)






Partitur
ZU ERGÄNZEN









Nr. 1 Riverenza, Livemitschnitt
 


Nr. 2 Göttin, Livemitschnitt



Nr. 3 Drei-Frauen-Zauber, Livemitschnitt



Nr. 4 Ringelsocke, Livemitschnitt



Nr. 5 Kuchengenesis, Livemitschnitt



Nr. 6 Das Brot des Lebens, Livemitschnitt



Nr. 7 Tänzer, Livemitschnitt



Nr. 8 Aion I, Livemitschnitt



Nr. 9 Aion II, Livemitschnitt









Umschlagbilder des Programmhefte der Uraufführungsreihe



Kritik des Konzertes in der Tonhalle Zürich (Rezital) vom 11.3.2010