Lamento

Maria Porten
Lamento, 2007


für Bariton, Streichquartett, 2 Blockflöten (2007)
Text: Remco Campert


Uraufführung

21. 9. 2007, Zürich, Wasserkirche, "Ferne Schritte. Nähe"
Mitwirkende:
Michael Mrosek, Bariton
Ulrike Mayer-Spohn, Blockflöten
Isabelle Gichtbrock, Blockflöten
Garcia Abril Quartett



Dauer

7m30






CD-Einspielung

Maria Porten - Es war einst ein Paradies
VDE Gallo CD 1252

Mitwirkende:
Michael Mrosek, Bariton
Ulrike Mayer-Spohn, Blockflöten
Isabelle Gichtbrock, Blockflöten
European String Quartet
Paul W. Taylor, Leitung


Werkkommentar

Remco Campert schildert in seinem Gedicht Lamento einen Menschen, der glaubt, man könne immer einfach nur so weiter gehen: am langen, tiefen Wasser entlang, am Uferschilf, hinter dem die Sonne hervor scheint, am sich kräuselnden Wasser vorbei; im Nachmittagslicht eines reglosen, blauen Sommerhimmels; mit Augen, die vor Glück brechen, während der Schrei vom Himmel hängt. Der Mann hätte nie gedacht,  dass Frost kommen, Eis das Wasser bedecken und Schnee auf die Zypressen fallen könnte, dass sie nie mehr...

Hier hört das Gedicht auf. Eine besondere Schwierigkeit für das Verständnis des Gedichtes besteht darin, dass das holländische „je“ wie auch das deutsche „du“ sowohl ein konkretes Gegenüber als auch ein verallgemeinerndes „man“, das den Sprecher selbst mit einschließt, bezeichnen  kann. Ist „ik“ in diesem Gedicht ein Mann und „je“ seine Geliebte? Wahrscheinlich ja, vielleicht aber auch nicht. Und die „vor Glück brechende Augen“? Wir assoziieren mit brechenden Augen spontan zunächst den Tod. In diesem Fall wäre der Schrei vielleicht ein Todesschrei, und das Du, sofern es eins gegeben hätte, wäre am Schluss tot und würde betrauert. Lamento! Es gibt aber noch eine ganz andere Deutung: im Französischen wird der Moment höchster Liebesekstase  auch als „le petit mort“ bezeichnet. „Vor Glück“ brechende Augen - das wäre so wieder zu verstehen, der Schrei wäre ein Lustschrei, und der Frost erschiene als ein Symbol für die erkaltete Liebe, in der es nur noch ein  „nie mehr“ gibt. Lamento auch hier. Das Gedicht  gibt uns keine Verständnishilfe durch eine Syntax. Es lässt uns schwingen in Kreisen von wiederholten Bildern und Vorstellungen. Zunächst erscheint die Reihung sehr willkürlich; aber wenn man sich mittragen lässt, merkt man, dass die Statik des Anfangs von der „lebenden“ Stille des Mittelteils überlagert wird. Die hellen Bilder mehren sich, kulminieren, nehmen wieder ab, um, nach einer kurzen Erinnerung, in der Kälte zu erstarren.

Auch ich als Komponistin folge den sich belebenden und dann ersterbenden Gefühlen. Ich überlasse dem Dichter das Zepter und begnüge mich bei meiner Vertonung mit wenigen Mitteln: Der Sänger hat nur sechs Töne (plus Oktave) zur Verfügung. Seine Notenlängen entsprechen in leichten Varianten dem Rhythmus des Textes. Er singt ein manchmal gehobenes Parlando. Nur beim Einbruch des Frostes versagt ihm die Stimme. Die beiden Flöten unterstützen sein Empfinden mit rhythmischen Akzenten und melodischen Elementen. Die Großbassflöte wird vor allem am Schluss mit ihren seltsamen Multiphonics wichtig. Das Streichquartett schildert auf fast  impressionistische Manier die Natur mit stehenden oder flimmernden Klängen. Da die Natur aber auch die Emotionen der Menschen spiegelt, verstärken die Streicher zudem die Stimme des Sängers, indem sie seine Linien verdoppeln, sie mit einer Parallelstimme „unter-“ oder „über-“malen oder sie  in wenigen Fällen auch kontrapunktieren. Bei allen Instrumenten und auch beim Bariton sind die Klangfarben wichtig. Das ganze Stück ist ruhig und sehr leise. Formal besteht die Vertonung aus lauter Fünftaktgruppen plus Vorspiel und Nachspiel.

(M. Porten)




Partitur
ZU ERGÄNZEN












Umschlagbild des Programmhefts der Uraufführung (Ferne Schritte. Nähe)







Impressionen vom Uraufführungskonzert "Ferne Schritte. Nähe", Zürich, Wasserkirche, 9/2007
 












Impressionen von den Aufnahmesessions
im Aufnahmestudio des Schweizer Radios DRS in Zürich
06/2008