Periodos
Geológicos (Las Tortugas)
Periodos Geológicos (Las Tortugas) 2003
für Vokalquartett SATB, Vle, Vc, Kl, Perc, Elektronik (2003)
Text: Soraya Borja
Uraufführung
30. 8. 2003 Zürich Wollishofen, Kirchgemeindehaus
mit Claudia Dieterle (S)
Eva Nievergelt (A)
Javier Hagen (T)
Norbert Günther (B)
David Newman (Vl)
Edit Hajdu-Irmay (Vc)
Katsunobu Hiraki (Perc)
Barb Wagner (Kl)
Pius Morger (El)
Jürg Henneberger (Ltg)
Dauer
15m
Werkkommentar
Periodos Geológicos. Soraya Borja schrieb ihren Text über die Tortugas (Schildkröten) auf den Galápagos Inseln nach den Kommentaren eines ecuadorianischen Reiseleiters (Mitglied des dortigen Darwin Instituts), die ihr auf einer Tonbandkassette von einer Galápagosreise mitgebracht wurden. Es geht um den Kreislauf von Geburt, Heranwachsen, Sich-Vermehren und Sterben der Meeresschildkröte. Die Jungtiere sind ein Teil der Nahrungskette. Sie schlüpfen in großer Zahl aus ihren Eiern, aber nur wenige haben die Chance ins Meer zu gelangen und dort zu überleben. Das war immer so. Aber mit der Ankunft der Menschen kamen auch die invasiven Tiere wie Schweine, Hunde, Katzen ins Naturparadies, welche sich ebenfalls am reich gedeckten Tisch der Natur bedienen und so das natürliche Gleichgewicht stören. Sie sind zu einer lebensbedrohenden Gefahr für die einheimische Schildkröten Population geworden. Wie der Text so beschreibt auch die Musik, mit einer naiven Freude am Ausmalen, nur Fakten: z.B. Meer, Wind und Strand, als natürliche Umgebung der Schildkröte, mit archaisch anmutenden Klangblöcken, die mehr wiederholt als verarbeitet werden; das Tohuwabohu der Kopulation (30 000 Männchen für 4000 Weibchen!) mit den Schreien der als stumm geltenden Tiere; das Vergehen von Zeitabläufen durch rhythmische Figuren, die sich durch Überlagerung gegenseitig die Spannung nehmen; das andächtige Erwarten des Schlüpfens mit weichen Klängen im Klavier; das Wettrennen ums Überleben durch schnelle stürzende Figuren. Alle diese musikalischen Mittel sind naheliegend und direkt verständlich wie Filmmusik. Eine philosophische Reflexion gibt es nicht. Nur die Stärksten überleben. Die Schildkröte, das weise Tier der Mythologie, wird hier als vitale Kreatur erlebt. Man soll sich nicht darüber wundern, dass der indische Gott Vishnu in seiner zweiten Inkarnation als Schildkröte erscheint und nur so der Welt zum Trank des Lebens verhelfen kann. In diesem Stück wird ein Klavier einbezogen, weil die Demonstration der Kraft, die der Aufzug der Schildkröten bedeutet, nach einem starken Klangkörper verlangt, der in einer Kammermusikproduktion nicht anders zu beschaffen ist. Geige und Cello steuern das melodische Element bei, das Schlagzeug unterstützt den schwerfälligen aber oft auch flinken Rhythmus. Die Vokalstimmen, angeführt vom solistischen Tenor, beschreiben das Geschehen. Der Titel «geologische Zeiten» stammt aus Darwins On the Origin of Species by Means of Natural Selections: «Wie unbestimmt sind die Wünsche und Anstrengungen des Menschen, wie knapp bemessen ist seine Zeit. Und wie armselig sind seine Erfolge im Vergleich zu denen, die die Natur im Verlauf ganzer geologischer Perioden hervorgebracht hat.» Die Schildkröte gehört zu den ältesten Tieren auf der Erde und demonstriert durch ihre Existenz darum besonders eindrücklich die riesigen Zeitabläufe. Vielleicht gilt sie in der Mythologie daher auch als weises Tier, was dann soviel heißen würde wie: überlebenstüchtiges Tier. Ein zusätzlicher Raum für Paradiesvorstellungen wird von Pius Morger durch das Hinzutreten der Live Elektronik geöffnet. Schon nach dem ersten Stück erhält die dort festgestellte Irritation Verstärkung durch ein Motiv, das, hier noch unklar und nicht identifizierbar, nach dem zweiten Stück deutlicher, im dritten zum integrierenden Bestandteil wird, zum Couplet in einem Rondo, in dem das "Auge um Auge" ein düsterer Refrain ist.
Periodos Geológicos stammt aus dem Musiktheater Galápagos p.e., das Maria Porten im Herbst 1997 nach einer Reise zu den Galápagos zu schreiben begann und das als kritischer Beitrag zur alarmierenden Situation der Weltökologie gemeint war. Es sollte mit Mitteln, die für dieses Thema sehr ungewöhnlich sind und daher eine spezielle Wirkung haben könnten, zum Nachdenken animieren. Wenn auch verschiedene Zoos Interesse signalisierten, als Ganzes konnte Galápagos p.e. bis dato nicht aufgeführt werden, weil die Realisation eines abendfüllenden Werkes große finanzielle Mittel verlangt. Darum entschloss sich die Autorin, einzelne Stücke in einer konzertanten Fassung freizugeben.
Margret Wittmer (1904 - 2000) Im Jahr 1932 begannen die gebürtigen Kölner Margret und Heinz Wittmer auf der Galápagos Insel Floreana zu siedeln. Sie machten das Land urbar («mit nichts als dem guten Willen, unseren Händen und ein bisschen Verstand») und gründeten eine Familie. Sie besaßen das wilde Paradies nicht allein. Es gab bereits zwei Siedler, als sie an Land kamen, dann waren es fünf, dann immer mehr, und schließlich erschienen die Touristen. Und "auch Satan kommt nach Eden". Es geschahen seltsame Todesfälle. Während des Weltkrieges bauten die Amerikaner das Archipel als Stützpunkt aus. Inzwischen ist das Gründerpaar gestorben. Ihre Kinder und Kindeskinder führen ihr Werk weiter. Die Insel beherbergte viele einheimische Tiere, die, angstfrei, in wunderbarem Gleichgewicht, das Paradies miteinander teilten. Als die Menschen kamen, brachten sie aus ihren Ländern Tiere und Pflanzen mit, als Fleischquelle und zum Aufbauen von Nutzkulturen. Viele der invasiven Elemente gerieten außer Kontrolle. Das ökologische Gleichgewicht wurde gestört. Mit verschiedenen Programmen versucht man heute, unter der Leitung der Darwin-Gesellschaft und mit Unterstützung verschiedener Gruppen von Naturfreunden, z.B. der Galápagos - Gesellschaft auf der ganzen Welt, auch in Zürich, den früheren Zustand auf den Galápagos soweit wie möglich wieder herzustellen, und so eins der letzten Paradiese der Erde zu retten. Quelle: Wittmer/"Postlagernd Floreana"
(M. Porten)Partitur ZU ERGÄNZEN


